Beide Entwürfe vereinte die bereits zu einem Versatzstück gewordene Wortwahl für den hier zu regelnden Sachverhalt. Notfallsanitäter sollten zukünftig bei lebensbedrohlichen Notfällen und zum Zwecke der Abwendung wesentlicher Folgeschäden für den Patienten berechtigt sein, bis zum Eintreffen des Notarztes oder dem Begin einer ärztlichen Behandlung eigenverantwortlich heilkundliche Tätigkeiten auszuüben, die sie in ihrer Ausbildung erlernt haben und beherrschen. Während es die BÄK bei diesen eindeutigen und praktikablen Vorgaben beließ, wollte das BMG das eigenverantwortliche Handeln von Notfallsanitätern an zwei weitere Voraussetzungen binden. Eine vorherige ärztliche, auch teleärztliche Abklärung sei nicht möglich und für die vorzunehmende Maßnahme in der konkreten Einsatzsituation gebe es keine standardmäßigen Vorgaben. Verknüpft mit der Vorhaben, bundeseinheitliche Standardhandlungsanweisungen als Richtschnur für die jeweiligen Standards in den Ländern bis zum Jahresende 2021 vorzugeben, war die Intention des Ministeriums unverkennbar, weiterhin eigenverantwortliches heilkundliches Handeln von Notfallsanitätern praktisch auf ein Minimum zu begrenzen. Im Kern war dies eine Neuauflage des kurzfristig im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens über den Beruf der Anästhesietechnischen und Operationstech-nischen Assistenten eingebrachten Notfallsanitätergesetzesänderungsantrags. der Regierungsparteien vom Herbst letzten Jahres. Nur dass dort noch ganz offen von einer Übertragung heilkundlicher Aufgaben auf Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter ausschließlich in Form ärztlichen Delegation die Rede war. Um das ursprüngliche gesundheitspolitische Ziel des NotSanG in dieser Delegationsvariante doch noch zu erreichen, sollten die Standardhandlungsanweisungen deutlich ausgeweitet werden und auch die lebensbedrohlichen Patien-tenzustände mit einschließen.
Die beiden Hauptargumente gegen diesen Gesetzesänderungsantrag – Inpraktikabilität und nicht zielführend -, die damals wesentlich zu einer genauso kurzfristigen Rücknahme desselben beigetragen haben, hatten in der Zwischenzeit nichts an ihrer Richtigkeit verloren.
(Standing-Operating Proceders (SOPs) sind als medizinische Empfehlungen für die Praxis für das Rettungsdienstfachpersonals und Notärzte gleichermaßen wertvoll. Verpflichtende und streng zu befolgenden Standardhandlungsanweisungen (SAA) für Notfallsanitäter - im damaligen Änderungsantrag der Regierungsfraktionen irrführender Weise auch als SOPs bezeichnet - stellen notfallmedizinische Versorgungsqualität eher sehr zweifelhaft sicher.) Was sie jedoch garantierten, ist die Erhaltung bestehender Organisation – und Leitungsstrukturen. Strukturen, die in der Vergangenheit sicherlich angebracht waren, die heute aber nur noch Partikularinteressen schützen.
Vorletzten Freitag hat nun das BMG seine Position in ihrem Wesensgehalt unverändert im Rahmen eines Referentenentwurfs für eine Reform der medizinisch-technischen Assistenzberufe (MTAReformgesetz) in ein formales Gesetzgebungsverfahren eingebracht.
Formalrechtlich mag es gerade noch zulässig sein, die Vorgaben des Artikels. 4.2.2c NotSanG auf die in Artikel 4.2.1.c. NotSanG beschriebenen Kasuistiken auszuweiten. Faktisch verabschiedet sich damit das BMG vom substantiellen Gehalt des NotSanG und der diesem Berufszulassungsgesetz innewohnenden Reformabsicht. Der Gesetzgeber hatte 2013 eine klare Trennung von eigenverantwortlichem Tätig werden von Notfallsanitätern und von einem Handeln in Form ihrer Mitwirkung vorgenommen. Zu dem ersten gehört auch ihr Handeln in lebensbedrohlichen Situationen. Die Ausführungen im Artikel 4.2.2c waren demgegenüber das schwierige, heute als gescheitert zu betrachtende Unterfangen, sein an das NotSanG geknüpftes gesundheitspolitisches Ziel mit der geltenden Rechtslage des Arztvorbehalts für die Ausübung von Heilkunde in Einklang zu bringen. Es ging dem Gesetzgeber ja gerade darum, eine personelle Alternative zu den immer weniger zur Verfügung stehenden Notärztinnen und Notärzten bereit zu stellen. Anstelle von Notärzten sollten hierfür gut ausgebildete Notfallsanitäter medizinisch unterschwellige Notfälle eigenständig versorgen.Das NotSanG war folglich in einem größeren gesundheitspolitischen Reformvorhaben verortet. Nämlich mittels einer neuen Aufgabenverteilung unter den Gesundheitsfachberufen eine Effizienzsteigerung bei zu mindestens gleichbleibender Versorgungsqualität zu erreichen. Wenn jetzt das BMG beabsichtigt, das Delegationsrecht der ärztlichen Leiter auf die lebensbedrohlichen Notfälle auszudehnen, legalisieren Sie im Nachhinein die Praxis vieler ÄLRD, die in ihren Rettungsdiensten für sich ein allumfassendes Erlaubnisrecht zur Erteilung heilkundlicher Maßnahmen der ihnen medizinisch unterstellten Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter beansprucht und überwiegend restriktiv praktiziert haben. Oder pointierter ausgedrückt, das BMG überlässt den ÄLRD weiterhin das wichtigste Instrument, mit denen die meisten in den vergangenen Jahren einen gleichwohl effektiven und effizienten Einsatz der Notfallsanitäter verhindert haben.
Die einschlägigen Stellungnahmen des Bundesverbandes der ÄLRD und die Standardhandlungsanweisungen ihrer Landesverbände haben die ÄLRD in dieser Haltung bestärkt. Erstens, indem sie bis auf wenige Ausnahmen keinen ausdrücklichen Verweis enthalten, dass sich das Delegationsrecht der ÄLRD auf die 4.2.2.c Akutfälle beschränkt und zweitens vor allem durch ihren Inhalt. Es werden ganz überwiegend lebensbedrohliche Notfälle beschrieben. Darstellungen von Akutfällen dagegen, für die der Gesetzgeber die Standardhandlungsanweisungen vorgesehen hatte, geschweige eigenständige Kataloge für diese - nur in Bayern ist dies in einer Minimalversion der Fall -, gibt es in diesen Katalogen nur ganz wenige. In Ermangelung eines umfänglichen Delegationskatalogs für die Akutfälle bleiben somit Notfallsanitäter weiterhin auch in einer Vielzahl von Akutfällen untätig, alarmieren dafür jedoch den Notarzt nach.
"Was ist das für eine Vergeudung personeller Ressourcen (bei Notärzten und Notfallanitätern gleichermaßen) und was für eine unglaubliche institutionalisierte und legalisierte Frustationsförderungsmaßnahme!"
Der Bundesgesetzgesetzgeber hatte zwar 2013 bewusst das politische Risiko in Kauf genommen, jedem einzelnen Ärztlichen Leiter ein von staatlichen Organen unabhängiges Entscheidungsrecht über das Handlungsspektrum von Notfallsanitätern zuzubilligen. Er hatte aber gleichzeitig auch angesichts der indirekten Zusagen ihres Bundesverbandvertreters im damaligen gesetzlichen Anhörungsverfahren darauf gesetzt, dass diese es im Sinne seiner deutlich erkennbaren gesundheitspolitischen Intention einsetzen würden.
Tatsächlich aber hat sich diese, das staatliche Exekutivmonopol verletzende Machtübertragung an eine Gruppe von Standesvertretern als größte Belastung des NotSanGs erwiesen.
Was somit zeitlich parallel zu einer endgültigen gesetzlichen Regelung dringend nottut, ist dass die Länder dem Vorbild Sachsen- Anhalts folgen und in einer Allgemeinverbindlichkeitsanordnung ihre ÄLRD zur Einführung von SOPs für lebensbedrohliche Situationen und SAAs für die Akutfälle verpflichten. Damit würden die Staatsorgane wieder ihre gesundheitspolitische Verantwortung übernehmen und sich auf den Weg zu einer bundeseinheitlichen Qualität der rettungsdienstlichen Versorgung machen.
Für mich ist somit das politische Schicksal der Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter ein Indikator für den Willen der Bundesregierung, aber auch der Länder und der politischen Parteien, gegen Standesinteressen im Teilbereich der Akut- und Notfallversorgung ernst zu machen mit einer bedarfsgerechten Steuerung der Gesundheitsversorgung
Was ist jetzt zur Zielerreichung weiterhin unbedingt notwendig:
1) Eine begrenzte Heilkundeerlaubnis der Notfallsanitäter durch eine Befugnisnorm im NotSanG oder die Erteilung von sektoralen Heilpraktikererlaubnissen auf der Grundlage von bundesweit einheitlichen Landesvorgaben(eine Ausweitung des ärztlichen Delegations-vorbehalts auf Notfälle bedeutet dagegen eine substantielle Gesetzesänderung)
2) Die Erstellung von Notfall-SOPs durch eine gemeinsame multiprofessionelle Expertengruppen von Bund und Ländern für Notfallsanitäter und Notärzte als generelle Richtschnur für notfallmedizinisches Handeln in bestimmten Notfallsituationen in Form von Handlungsempfehlungen. Der Vorsitzende der Expertengruppe sollte ein in der Leitung von Arbeitsgruppen visierter Angehöriger der Exekutive sein.
3) Gegebenenfalls eine Differenzierung zwischen notärztlich und notfallsanitäterisch indizierten heilkundlichen Maßnahmen innerhalb der SOPs
4) Ggf. Hinweise für die NotSans in der jeweiligen SOP, bei welchem Zustand oder bei welcher Veränderung des Patienten im Behandlungsverlauf die Hinzuziehung eines Notarztes notfallmedizinisch angezeigt ist.
5) Eine Verpflichtung der NotSans zur Nachalarmierung eines Notarztes in den oben genannten Fällen durch Dienstanweisungen bzw. Landeserlasse
6) Die Verpflichtung der ÄLRD im Rahmen einer Allgemeinverbindlichkeitsanordnung nach dem Vorbild Sachsen-Anhalts zur Implementierung eines landesweit gültigen SAA-Katalogs in ihrem Zuständigkeitsbereich
7) Die Erstellung eines umfänglichen SAA-Katalogs für die notfallsanitäterische Versorgung der rettungsdienstlich relevanten Akutfälle durch eine multiprofessionelle Bund-Länder Expertengruppen. Auch hier übernimmt den Vorsitz ein in der Arbeitsgruppenleitung visierter Angehöriger der Exekutive.
8) Die Entlastung der ÄLRD von der persönlichen Haftung für fehlerhaft von Notfallsanitäter(inne)n angewandten SAAs im Rahmen der Amtshaftung