Die Wände von Fuchs' Arztzimmer im Souterrain der Klinik hängen voll mit Fotos seiner beiden Kinder. Vermutlich braucht man diese Demonstration des Glücks im Leben, wenn man täglich mit dem Tod zu tun hat.
Der Onkologe hat an einem runden Tisch am Fenster Platz genommen. "Lassen es der Gesundheitszustand der Patienten und meine Zeit zu, führe ich auch hier die Aufklärungs-gespräche", sagt Fuchs.
( ) Das erste Gespräch nach einem solchen Befund sei das schwerste, sagt Fuchs. "Die Menschen wissen, dass sie nicht grundlos hier sind, dementsprechend groß ist die Anspannung, wenn ich mit den Untersuchungsergebnissen in den Raum komme." ( )
Fuchs (weiß), dass er mit seinen Worten Menschen die Welt unter den Füßen wegreißt.
Wie sagt man einem Menschen, dass er sterben muss? "Es gibt keine Standards. Ich kann nur erzählen, wie ich es mache. ( ) Zunächst warte ich, bis alle Befunde schriftlich da sind. Dann studiere ich die Geschichte des Patienten. Es ist einer der wichtigsten Augenblicke in dessen Leben, da darf man nicht schlecht vorbereitet sein."
Um die Menschen nicht in die Einsamkeit der Nacht zu entlassen, führt Fuchs die Gespräche nie abends. Idealerweise sei man unter sich, Arzt und Patient, falls erwünscht, mit dessen Angehörigen. Bei bettlägerigen Patienten schaue er, ob der Nachbar das Zimmer verlassen könne. Man verbanne Handy und Piepser. "Ich sage das, wohl wissend, dass das alles im Klinikalltag nicht immer so läuft", sagt Fuchs. Sein Dienst-Handy und Pieper vibrieren im Minutentakt auf dem Tisch.
Liegt ein Patient im Bett, zieht er sich einen Stuhl heran, um auf Augenhöhe mit ihm sprechen zu können. "Als Erstes frage ich immer: 'Wie geht es Ihnen?' So kann ich herausfinden, was der Patient denkt, ahnt, weiß; heutzutage recherchieren sie alle im Internet. Erst dann schildere ich ihm den Befund."
Der Arzt dimmt seine Stimme, sein Blick wird verbindlich. Es ist, als säße er in diesem Moment an einem Bett. Er spricht die Worte ruhig, aber bestimmt: "Sie haben Bauchspeicheldrüsenkrebs."
Obwohl die Situation nur simuliert ist, klebt der Satz in der Luft. Martin Fuchs hält kurz inne. "Wir haben leider schulmedizinisch keine Möglichkeiten mehr, aktiv am Tumor anzugreifen. Wir können nur versuchen, durch Chemotherapien und Bestrahlungen Ihr Leben zu verlängern." Fuchs beugt sich ein wenig vor. "Aber wir lassen Sie nicht fallen. Wir werden Sie begleiten, so gut wir können, und Ihnen die Schmerzen nehmen." Seine Worte zerren an der Seele.
Die Reaktionen seien unterschiedlich, sagt Fuchs. "Schock, Weinen, Ratlosigkeit. Ich weiß von Kollegen, dass sich Patienten aus dem Fenster gestürzt haben." Manche seien auch kurz erleichtert, weil sie endlich Gewissheit haben. "Es ist wichtig, das Wort Krebs in den Mund zu nehmen", sagt Fuchs.
Die erste Frage sei fast immer: Wie lange noch? "Darauf gebe ich keine konkrete Antwort. Ich erkläre, dass Statistiken nichts über den Einzelfall aussagen. Dennoch muss ich den Patienten einen groben Horizont angeben. Sie müssen Dinge regeln können. Nehmen Sie das Beispiel einer alleinerziehenden Mutter. Sie muss wissen, bis wann sie jemanden für ihr Kind gefunden haben muss."
Fuchs spricht mehr über seine Patienten als über sich. Aber wie geht es ihm? "Solche Gespräche, insbesondere die mit jungen Menschen - da gehe ich nie raus und habe nach zehn Minuten den Kopf wieder frei." Auch falle es ihm schwer, dauerhaft mit dem Tod konfrontiert zu sein. "Wenn man das eins zu eins an sich ranlässt, kann man nicht mehr arbeiten. Deshalb vermeide ich auch Körperkontakt, nehme niemanden in den Arm. Man muss darauf achten, dass die emotionale Festplatte nicht zu voll wird."
Kennt er diese Momente? Fuchs überlegt. Es scheint, als müsse er kurz nachdenken, ob er öffentlich eingestehen will, dass auch er Grenzen hat, trotz aller Souveränität. "Ja", sagt er. "Der Akku war manchmal schon leer. Dann habe ich geschaut, dass ich mehr endoskopiere. Das ist etwas Technisches, Handwerkliches."
aus Antje Windmann:„Ihr Sohn ist tot“ Spiegelonline 30.04.2012
Der Onkologe hat an einem runden Tisch am Fenster Platz genommen. "Lassen es der Gesundheitszustand der Patienten und meine Zeit zu, führe ich auch hier die Aufklärungs-gespräche", sagt Fuchs.
( ) Das erste Gespräch nach einem solchen Befund sei das schwerste, sagt Fuchs. "Die Menschen wissen, dass sie nicht grundlos hier sind, dementsprechend groß ist die Anspannung, wenn ich mit den Untersuchungsergebnissen in den Raum komme." ( )
Fuchs (weiß), dass er mit seinen Worten Menschen die Welt unter den Füßen wegreißt.
Wie sagt man einem Menschen, dass er sterben muss? "Es gibt keine Standards. Ich kann nur erzählen, wie ich es mache. ( ) Zunächst warte ich, bis alle Befunde schriftlich da sind. Dann studiere ich die Geschichte des Patienten. Es ist einer der wichtigsten Augenblicke in dessen Leben, da darf man nicht schlecht vorbereitet sein."
Um die Menschen nicht in die Einsamkeit der Nacht zu entlassen, führt Fuchs die Gespräche nie abends. Idealerweise sei man unter sich, Arzt und Patient, falls erwünscht, mit dessen Angehörigen. Bei bettlägerigen Patienten schaue er, ob der Nachbar das Zimmer verlassen könne. Man verbanne Handy und Piepser. "Ich sage das, wohl wissend, dass das alles im Klinikalltag nicht immer so läuft", sagt Fuchs. Sein Dienst-Handy und Pieper vibrieren im Minutentakt auf dem Tisch.
Liegt ein Patient im Bett, zieht er sich einen Stuhl heran, um auf Augenhöhe mit ihm sprechen zu können. "Als Erstes frage ich immer: 'Wie geht es Ihnen?' So kann ich herausfinden, was der Patient denkt, ahnt, weiß; heutzutage recherchieren sie alle im Internet. Erst dann schildere ich ihm den Befund."
Der Arzt dimmt seine Stimme, sein Blick wird verbindlich. Es ist, als säße er in diesem Moment an einem Bett. Er spricht die Worte ruhig, aber bestimmt: "Sie haben Bauchspeicheldrüsenkrebs."
Obwohl die Situation nur simuliert ist, klebt der Satz in der Luft. Martin Fuchs hält kurz inne. "Wir haben leider schulmedizinisch keine Möglichkeiten mehr, aktiv am Tumor anzugreifen. Wir können nur versuchen, durch Chemotherapien und Bestrahlungen Ihr Leben zu verlängern." Fuchs beugt sich ein wenig vor. "Aber wir lassen Sie nicht fallen. Wir werden Sie begleiten, so gut wir können, und Ihnen die Schmerzen nehmen." Seine Worte zerren an der Seele.
Die Reaktionen seien unterschiedlich, sagt Fuchs. "Schock, Weinen, Ratlosigkeit. Ich weiß von Kollegen, dass sich Patienten aus dem Fenster gestürzt haben." Manche seien auch kurz erleichtert, weil sie endlich Gewissheit haben. "Es ist wichtig, das Wort Krebs in den Mund zu nehmen", sagt Fuchs.
Die erste Frage sei fast immer: Wie lange noch? "Darauf gebe ich keine konkrete Antwort. Ich erkläre, dass Statistiken nichts über den Einzelfall aussagen. Dennoch muss ich den Patienten einen groben Horizont angeben. Sie müssen Dinge regeln können. Nehmen Sie das Beispiel einer alleinerziehenden Mutter. Sie muss wissen, bis wann sie jemanden für ihr Kind gefunden haben muss."
Fuchs spricht mehr über seine Patienten als über sich. Aber wie geht es ihm? "Solche Gespräche, insbesondere die mit jungen Menschen - da gehe ich nie raus und habe nach zehn Minuten den Kopf wieder frei." Auch falle es ihm schwer, dauerhaft mit dem Tod konfrontiert zu sein. "Wenn man das eins zu eins an sich ranlässt, kann man nicht mehr arbeiten. Deshalb vermeide ich auch Körperkontakt, nehme niemanden in den Arm. Man muss darauf achten, dass die emotionale Festplatte nicht zu voll wird."
Kennt er diese Momente? Fuchs überlegt. Es scheint, als müsse er kurz nachdenken, ob er öffentlich eingestehen will, dass auch er Grenzen hat, trotz aller Souveränität. "Ja", sagt er. "Der Akku war manchmal schon leer. Dann habe ich geschaut, dass ich mehr endoskopiere. Das ist etwas Technisches, Handwerkliches."
aus Antje Windmann:„Ihr Sohn ist tot“ Spiegelonline 30.04.2012